August 21, 2024 admin

“Ich wollte sicherstellen, dass wir nie den Eindruck erwecken, eine Botschaft zu verkünden, denn meiner Meinung nach sollte das Kino das nicht leisten. Ich denke, es sollte ein Spiegelbild der Welt sein.”
Lee Isaac Chung, Regisseur von “Twisters”, auf die Frage, warum in seinem Film über extreme Wetterereignisse die menschengemachte Erderwärmung und die Klimakrise in keiner Form erwähnt werden.

Man kann nicht nicht kommunizieren

Wie jedes Kulturprodukt enthalten auch Filme immer Botschaften– sie transportieren kulturelle Werte und liefern damit ein Modell sowohl von der Welt, wie sie ist, als auch für die Welt, wie sie sein kann oder sollte. 

Die Frage, ob man sich diese Botschaften als Filmschaffender bewusst macht und sie gezielt gestaltet oder sie unreflektiert mitlaufen lässt und damit letzten Endes den Status Quo reproduzieren hilft, ist eine, die erstmal nichts mit der Unterhaltungsqualität eines Films zu tun hat.  

Ein Spiegelbild der Welt

Denn in unterhaltsamen fiktionalen Filmen dürfen die Figuren natürlich nicht bloß konstruierte Vehikel für Belehrungen sein; wenn das zu offensichtlich wird, hat ein Film sein Publikum schnell verloren, da nützt alle gute Absicht nichts. Gute Filme berühren durch ihre Geschichte und die Emotionen der Figuren, die den Zuschauer mitnehmen. Im besten Fall lösen sie damit aber auch etwas über den Film Hinausgehendes aus beim Publikum. Es ist entscheidend, dass ein Film unterhaltsam und zugänglich bleibt, um ein breites Publikum zu erreichen, auch und gerade, wenn er auf wichtige Themen aufmerksam machen will. Es geht beides – wirksam und unterhaltsam. Wir Menschen erklären, strukturieren, deuten unsere Welt mit und durch Geschichten. Deswegen kann man die Wirkung, die ein guter Film auf unseren Blick auf die Realität hat, gar nicht zu hoch hängen, das ist wie eine Superkraft. Ein solcher Film kann und sollte also faktische Zusammenhänge darstellen, und er kann das tun, ohne dabei vordergründig „botschaftsorientiert“ zu sein. 

Die Darstellung der Klimakrise und ihrer Konsequenzen ist keine politische oder ideologische Meinungsmache, sondern eine Abbildung der Realität. Wenn Chung also die Thematisierung der Klimakrise ablehnt und dann im selben Atemzug sagt, dass das Kino ein Spiegelbild der Welt sein soll, ist das alles andere als ein starkes Argument.

Im Hinblick auf Tornados ist zwar wissenschaftlich noch nicht vollkommen klar, in welchen Regionen sie durch die Klimakrise heftiger und wo „nur“ häufiger werden. Fest steht jedoch, dass durch jedes Zehntelgrad Erwärmung die Luft exponentiell mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann, wodurch mehr Gewitter entstehen. Und das wiederum führt dazu, dass es auch mehr Tornados geben wird – wenn kalte und schwülwarme Luftmassen aufeinandertreffen, was ihre Entstehung begünstigt. Daher macht es sich Chung mit der Antwort etwas zu einfach.

Seine Aussage ist zwar insofern nachvollziehbar, als dass es in einer fiktionalen Geschichte vor allem um das Erzählen von interessanten Figuren und einer nachvollziehbaren Dramaturgie geht. Stehen hingegen bestimmte „Botschaften“ im Vordergrund und damit der eigentlichen Geschichte im Weg, die die Zuschauer in den Bann ziehen soll, ist der Film häufig uninteressant für ein breites Publikum. Wir bei PlanetNarratives wünschen uns deshalb vor allem Filme, die ein breites Publikum erreichen und gleichzeitig nicht die Augen verschließen vor der Realität und den Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen. Angesichts des Klimanotstands können wir uns nicht erlauben, die Superkraft unserer Geschichten nicht zu nutzen.. 

Wenn in einem vorgeblich realistischen, gegenwärtigen Setting der Klimawandel und die diesbezüglichen Sorgen der Menschen in Geschichte und Figuren keinerlei Ausdruck finden, ist es kein Film über unsere Zeit, eben ganz entschieden kein “Spiegelbild der Welt”. Ein Film, der nicht in irgendeiner Form – sei es auch nur beiläufig – den Zustand der Erde, die Zerstörung der Ökosysteme und damit einhergehend den Verlust der Arten und die Gefährdung unserer Lebensgrundlagen und Demokratien mit derselben Selbstverständlichkeit zur Kenntnis nimmt wie alle anderen relevanten Bestandteile unserer Realität, ist damit quasi ein Historiendrama. Er erzählt, was es nicht mehr gibt. 

Man kann Klima gar nicht nicht erzählen, Klima ist immer da, in jeder Geschichte. Wenn wir zu Weihnachten in jedem Film (immer!) Schnee zeigen und im Sommer laue Sommernächte – angenehm und ohne Dürre, Hitze, Brände, Stürme etc. – erzählen wir immer auch Klima – eben nur nicht faktenorientiert, sondern, bewusst oder unbewusst, romantisierend und rückwärtsgewandt. 

Die Auslassung dieser bewussten Thematisierung (ganz zu schweigen von der Abwesenheit einer weiterreichenden Auseinandersetzung mit der Klimakrise als Auslöser für häufigere Extremwetterereignisse) in dem Film scheint ein Umschiffen der Debatte und der damit verbundenen befürchteten wirtschaftlichen Einbußen bei der Auswertung zu sein. 

Subtil bleiben

Gerade, wenn man einen sehr teuren Film produziert, der auch in Gegenden erfolgreich sein muss, die nicht im woken Kalifornien liegen, ist es nachvollziehbar, keine „Triggerworte“ zu verwenden, die in vielen Kreisen abschrecken könnten. Durch allzu offensichtliche Erwähnungen wäre dem Film – gerade in den polarisierten USA, in der in konservativen Gegenden der menschengemachte Klimawandel noch deutlich stärker als in Deutschland in Frage gestellt wird – die Breite des Publikums ganz sicher verwehrt geblieben. 

Aber so einfach sollte man es sich dennoch nicht machen. Als Filmschaffender hat man die Möglichkeit, mit seinen Geschichten sehr vielen Menschen auf einen Streich tief in die Herzen und Köpfe hineinzureichen und im großen Stil Augen zu öffnen und Veränderungen anzuregen, und selten hat die Menschheit dringender Veränderungen gebraucht als heute. Damit geht eine gewisser moralischer Imperativ einher – umso mehr, wenn man wie im Falle von Twisters für ein Millionenpublikum eine realistische Katastrophe thematisiert, deren Ursache auch im Klimawandel liegt.

So verständlich die Sorge um den wirtschaftlichen Erfolg ist – es wäre schön, wenn die Verantwortlichen in so einem Fall nicht einknicken, sondern es vielmehr als kreative Herausforderung begreifen, dem gewählten Thema auf eine Weise gerecht zu werden, die uns ein Stück auf dem Weg zur Lösung der größten Krise der Menschheit voranbringt, ohne dabei den Popcorn-Appeal eines Hollywood-Katastrophenfilms über Bord zu werfen. 

Andere machen es vor

Dass das technisch möglich ist, zeigen viele Beispiele – auch ohne explizite Erwähnung des Klimawandels kann ein Film eine starke Botschaft über die Auswirkungen der Klimakrise, des Wegschauens und klimabedingter Wetterveränderungen in seiner Geschichte unterbringen. Zahlreiche Filme enthalten dieses Stichwort nicht und beschäftigen sich dennoch damit, wie der Mensch seine eigenen Lebensgrundlagen zerstört („Don‘t look up“, „Leave the world behind“, „Micha denkt groß“), und sind damit Climate Storytelling, und zwar ohne ihren jeweiligen Genres untreu zu werden oder ihr Publikum durch allzu offenkundiges Sendebewusstsein zu verlieren. Anderswo geht das ja auch schon lang: Wonderwoman war ein grandios erfolgreicher Superhelden-Blockbuster und hat trotzdem/deswegen mehr für Empowerment und Selbstbewusstsein von Mädchen und jungen Frauen vor allem in den USA getan als so manche feministische Kampagne – weil ein Blockbuster andere und mehr Menschen anders und intensiver erreicht.

Auch deutsche Filmemacher sehen sich dieser Gratwanderung gegenüber: Zwischen eskapistischer Unterhaltung und breitenwirksamer fiktionaler Erzählung einerseits und der Herstellung von Aufmerksamkeit und Wirksamkeit durch das Aufzeigen von Ursachenzusammenhängen, Krisen und Lösungsmöglichkeiten andererseits. Wenn wir allerdings versuchen, diese Herausforderung zu umgehen, weil wir in unseren Filmen keine “Botschaften” haben wollen – dann werden wir unweigerlich die Botschaft vom “Weiter so” an unser Millionenpublikum senden.

Wir haben es in der Hand. Also geht die Frage an Lee Isaac Chung und an uns alle: Wenn wir in zehn, fünfzehn Jahren zurückblicken – wer wollen wir gewesen sein?

Nicole Zabel-Wasmuth